Viel Sollen und Wollen

FRANKFURT/MAIN. 80 Prozent des Stroms und 50 Prozent der Wärmeenergie sollen im Jahr 2030 in Deutschland regenerativ erzeugt werden. So lautet das Ziel der kommenden Bundesregierung, falls SPD, Grüne und FDP den ausgehandelten und heute veröffentlichen Koalitionsvertrag unterschreiben. Die konkreten Maßnahmen dafür wollen die Koalitionspartner im kommenden Jahren in einem Klimaschutzsofortprogramm verabschieden. Auch wenn noch viele Details auszuhandeln sind, benennt der Vertrag doch schon wichtige Eckpunkte, mit denen der zuletzt stockende Ausbau der Erneuerbaren beschleunigt werden soll.

Der vielleicht wichtigste ökonomische Punkt: Strom aus erneuerbaren Energien soll billiger werden. Die Refinanzierung der Subventionen aus der Erneuerbare-Energien-Gesetz über den Strompreis wird mit Jahresbeginn 2023 abgeschafft, stattdessen sollen Mittel aus den Energie- und Klimafond eingesetzt werden. Eine Vielzahl von Detailregelungen, etwa zu Abstandsregeln für Windkraftanlagen, der Solardachpflicht für gewerbliche Neubauten oder den Genehmigungsverfahren sollen dafür sorgen, dass der regenerative Strom auch wirklich erzeugt wird. Dass das 80-Prozent-Ziel auf einen deutlich erhöhten Strombedarf von bis zu 750 TWh festgeschrieben wird, zeugt von einer realistischen Einschätzung der Lage. Genauso wie die Tatsache, dass der zügige Ausbau von Gaskraftwerken gefordert wird, die zwar auf den Betrieb mit Wasserstoff vorbereitet werden sollen, jedoch erst ab dem Jahr 2045 vollständig mit CO2-neutralem Brennstoff betrieben werden sollen.

Auf den Straßen sollen im Jahr 2030 laut Koalitionsvertrag in spe mindestens 15 Millionen batterieelektrische Pkw fahren, die an einer Millionen Ladepunkten Strom tanken können. CO2-neutrale Kraftstoffe sollen vor allem im Flug- und im Schiffsverkehr gefördert werden, mit einer umständliche Formulierung hält man sich allerdings den Einsatz im Pkw offen: „Außerhalb des bestehenden Systems der Flottengrenzwerte setzen wir uns dafür ein, dass nachweisbar nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge neu zugelassen werden können.“ Insgesamt zeugt der Part zur Mobilität zwar von guten Willen, konkrete Maßnahmen werden aber anders als im Energiebereich kaum benannt. Dafür ist unter anderem eine Nationale Fußgängerstrategie und eine Nationale Hafenstrategie angekündigt.

Auffällig ist, dass Klimaschutz und damit die Energie- und Mobilitätsthemen großen Raum einnehmen, aber erst auf das Kapitel über Digitalisierung und modernen Staat folgen. Da könnte tatsächlich bald eine Koalition in Deutschland regieren, die Digitalisierung nicht als „Neuland“ begreift, aber durchaus Neuland betritt. Etwa wenn es darum geht, mit dem angekündigten Mobilitätsdatengesetz ein Treuhändermodell zu schaffen, mit dem Verkehrsdaten frei zugänglich werden. Oder wenn explizit eine Digitalisierung der Verteilnetze versprochen wird.

494 mal steht das Wort „wollen“ auf den 178 Seiten des Koalitionsvertrages. So ehrenwert das Ziel ist, Deutschland zu modernisieren – vielleicht ist das etwas zu viel gewollt. Denn für das Klima zählt nicht der Willen, sondern die Tat.

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